GMO in Financial Times Deutschland

12. Aug 2003

Firmenbestatter bringen den Tod auf Raten Aus der FTD vom 12.8.2003 www.ftd.de/agenda

Von Sandra Deutschländer, Hamburg

Die Wirtschaftskrise ruft dubiose Geschäftemacher auf den Plan. Sie geben vor, marode Firmen zu sanieren, saugen sie jedoch tatsächlich aus. Die Gläubiger gehen leer aus.

Oliver Eckel ist misstrauisch. Der Manager kneift die Augen hinter der Nickelbrille zusammen, verschränkt die Arme über seinem schwarzen T-Shirt und rückt mit dem Lederstuhl weit vom übergroßen Konferenztisch ab. Bei Michael Douglas alias Gordon Gecco habe er gesehen, wie Firmen abgewickelt werden. "Kein seriöser Investor will einen Pleite-Laden wie GMO Consulting übernehmen." Eckel arbeitet seit zwei Jahren als Controller für die Hamburger IT-Beratung. In den besten Zeiten hatte die Firma mehr als 800 Mitarbeiter, beriet namhafte Konzerne wie die Commerzbank, Schering oder Volkswagen. Jetzt ist GMO insolvent. 20 Berater sind noch übrig. Eckel wickelt die letzten Kundenverträge ab und hält Kontakt zu Insolvenzverwalter Hinnerk-Joachim Müller.

Natürlich habe er gewusst, was abläuft, sagt Eckel. Seit 1999 seien immer weniger Aufträge eingegangen, Ende 2002 habe das Prinzip Hoffnung regiert. Irgendwann zahlte GMO nur noch vereinzelt Gehälter. Eckel erinnert sich an einen Freitag Ende Mai, als er einen der drei Geschäftsführer dabei beobachtete, wie dieser Unterlagen kopierte und seine Post mitnahm. Danach wurde er nie wieder in dem Bürohaus im Stadtteil Winterhude gesehen. Per Fax erfuhren die Mitarbeiter, dass die Firma den Besitzer gewechselt hatte: In dem Schreiben stellte sich Jutta Sandau als neue Geschäftsführerin vor. Zu diesem Zeitpunkt war GMO bereits zahlungsunfähig. Allein dem Finanzamt schuldet das Unternehmen nach Angaben von Insolvenzverwalter Müller noch immer 350.000 Euro.

"Brutaler Egoismus"

Um ihre Neuerwerbung hat sich die neue Chefin bis heute nicht gekümmert. In der Firma ließ sie sich nie blicken, sie stellte auch keinen Insolvenzantrag. Stattdessen habe sie sie 300.000 Euro von einem GMO-Konto zu ihren Gunsten abgezweigt, so Müller: "Frau Sandau handelt aus brutalem Egoismus." Sie wolle die Firma nicht wirklich führen, sondern zu ihrem eigenen Vorteil aussaugen. Die Wirtschaftskrise ebnet Geschäftemachern wie Jutta Sandau den Boden. In den Amtsgerichten stapeln sich die Akten. "So viele Fälle von Firmenbestattern wie in den vergangenen Monaten hatten wir noch nie", sagt Hans Richter, Oberstaatsanwalt in Stuttgart. Die Täter steigen in marode Firmen ein, zögern die Insolvenz hinaus und bereichern sich am noch vorhandenen Vermögen. Geschädigt werden Mitarbeiter, Lieferanten und Kunden. Der jährliche Schaden geht in die Milliarden.

Lohnendes Verbrechen

Das Verbrechen lohnt sich: Verglichen mit einem Bankraub ist die Beute oft größer und das Risiko, erwischt zu werden, geringer. "Das Modell ist überraschend einfach", sagt die Hamburger Insolvenzverwalterin Svenja Herbold. Mit Anzeigen locken dubiose Finanziers hoch verschuldete Gesellschafter, die den Absprung suchen, und bieten pro forma ihre Hilfe bei der Sanierung des Unternehmens an. Dafür kassieren die selbst ernannten Helfer je nach Firmengröße und Schuldenberg 5000 bis 500.000 Euro. Die zahlen überforderte Alteigentümer gern, um sich von der Schuldenlast zu befreien. Die Bestatter treten zumeist nicht selbst als Geschäftsführer auf, sondern setzen Strohleute ein, die für 1000 bis 5000 Euro ihren Namen für die bevorstehende Pleite hergeben. "Für die Strohmänner ist das Risiko, erwischt zu werden, hoch", sagt Richter. Doch entweder ist bei ihnen nichts zu holen, oder sie sind plötzlich unauffindbar. Die alten Chefs lassen sich nicht belangen, da diese eine notariell beglaubigte Verkaufsurkunde vorweisen können.

Stets dieselbe Masche

Die Masche der Firmenbestatter ist stets dieselbe. Während sie nach der Übernahme der Firma den Insolvenzantrag hinauszögern, bedienen sie sich am Firmenvermögen: Vom Betriebshof der Mecklenburgischen Ruppiner Straßen- und Tiefbau - Geschäftsführerin Jutta Sandau - verschwanden im Frühjahr nach dem Wechsel an der Firmenspitze über Nacht sämtliche Baumaschinen. Beim Stuttgarter Konstruktionsbüro Weidleplan wurden nach der Übernahme durch die Berliner Sofirag der Server und die komplette Buchhaltung abgeholt. Per Nachsendeauftrag wird die Firmenkorrespondenz seither nach Berlin weitergeleitet. "Die neuen Geschäftsführer haben sich noch nicht einmal die Mühe gemacht, die Post zu öffnen", sagt der zuständige Insolvenzverwalter Volker Viniol. Sämtliche Schreiben blieben unbeantwortet.

Die Liste der von Firmenbestattern Geschädigten ist lang: Mitarbeiter, die auf ihren Lohn warten und noch kein Insolvenzausfallgeld bekommen, Krankenkassen, deren Beiträge fällig sind, Finanzämter, die auf Umsatzsteuerforderungen drängen, Banken, die für ihre Kredite Zins und Tilgung verlangen, Lieferanten, deren Rechnungen ausstehen.

Überforderte Justiz

Sie hoffen zumeist vergebens auf ihr Geld, denn die Justiz ist mit der rasant ansteigenden Zahl der Delikte überfordert. "Die Fälle sind fast nicht verfolgbar", sagt der Berliner Staatsanwalt Jürgen Marx. Wenn die Ermittlungsbehörden den Fall entdecken, sind die Bestatter meist schon nicht mehr tätig. Oft beschäftigen die Organisationen ein ganzes Netz von Strohleuten, sagt Marx. Sechs Staatsanwaltschaften ermitteln inzwischen allein im Fall Sandau. Die neue GMO-Chefin fungiert bei rund 40 weiteren Not leidenden Unternehmen ebenfalls als Geschäftsführerin. Fragen der FTD zu ihrer Tätigkeit will sie nicht beantworten. Die Kooperation zwischen den Ermittlern läuft zäh. "Die einzelnen Staatsanwaltschaften arbeiten sehr langsam", klagt der Frankfurter Insolvenzverwalter Dirk Pfeil. Vielen Fällen sei überdies kaum anzusehen, ob eine "normale" Insolvenz vorliegt oder ein Firmenbestatter dahinter steckt. Die Bestatter machen sich die Trägheit des Systems zunutze und übernehmen Firmen in weit auseinander liegenden Regionen.

Verwischte Spuren

Nicht nur die Staatsanwaltschaften, auch die Insolvenzverwalter kommen kriminellen Geschäftemachern selten auf die Schliche. "Die Firmenunterlagen sind häufig verschwunden und die Spuren von Geschäftskontakten verwischt", sagt die Hamburger Insolvenzverwalterin Herbold. "Wenn die Geschäftsunterlagen später doch noch auftauchen, haben die vermeintlichen Sanierer auch das letzte Vermögen auf ihre Konten gelenkt." Besonders problematisch sind Fälle, bei denen sich der neue Geschäftsführer ins Ausland abgesetzt hat. Die GMO-Chefin Sandau etwa kontrolliert ihr Imperium vom spanischen Marbella aus per Fax. Die deutsche Justiz ist machtlos. Sind bundesweite Ermittlungen schon mühsam, so verlaufen europaweite Nachforschungen meist im Sande. Solange es nicht um organisierte Kriminalität geht, können deutsche Ermittler die Beschuldigten nicht unmittelbar verfolgen. Polizisten, Staatsanwälte und Gerichtsvollzieher, die Firmenbestattern auf der Spur sind, müssen auf die Rechtshilfe ihrer Kollegen bauen. "Das kann schon mal bis zu zwei Jahre dauern", sagt ein Kölner Staatsanwalt.

Alarmierte Angestellte

So lange wollen die Gläubiger einer Firma nicht warten. Den Antrag auf die Einleitung eines Insolvenzverfahrens stellen am Ende oft Angestellte, die kein Gehalt bekommen haben. So auch bei GMO. Die Mitarbeiter in der Finanzbuchhaltung wurden auf die Zahlungsrückstände aufmerksam. Ein Betriebsrat, der im Mai kein Gehalt bekommen hatte, ging schließlich zum Amtsgericht. Der vom Richter bestellte Insolvenzverwalter Müller konnte den Schaden begrenzen. Die 300.000 Euro, die Geschäftsführerin Sandau auf ihr eigenes Konto umgeleitet hatte, wurden zurücküberwiesen, das Finanzamt gewährte Zahlungsaufschub. "Ein mühsames Geschäft", sagt GMO-Manager Eckel. "So viel wie jetzt habe ich noch nie gelernt und werde ich wohl nie wieder lernen." Wenigstens muss er sich nicht mit Lieferanten herumschlagen, die auf Zahlung ihrer Rechnungen pochen. Als Dienstleister hat GMO kaum Lieferantenverträge. Die Firma muss vor allem Dauerschulden wie Gebäudemieten, Steuerrückstände und Zahlungen an Subunternehmer aus der Konkursmasse bedienen.

Gravierendere Auswirkungen

Gravierendere Auswirkungen haben die Machenschaften der Firmenbestatter bei Unternehmen, die viele Vorleistungen beziehen. Der Düsseldorfer Stahlhändler Schmolz und Bickelbach ist wegen verschleppter Insolvenzen auf zig Forderungen sitzen geblieben. "Keiner meldet gerne in seinem Namen Insolvenz an", sagt Max Trüppen von der Kreditabteilung des Unternehmens. Ob hinter den 700 Akten mit Insolvenzen und Mahnverfahren ein Firmenbestatter steckt oder nicht, sei indes kaum auszumachen.

Trüppen ahnt, dass es mehr als jene zwei Fälle sind, bei denen die Lage eindeutig ist. So habe der Stahlhändler jahrelang gute Geschäfte mit einem Kunden gemacht, der regelmäßig sogar den Bar-Rabatt in Anspruch genommen habe. Die letzte Lieferung zahlte er nicht. Der neue Geschäftsführer ist unauffindbar. Der Firma droht nun das gleiche Schicksal wie der Beratungsfirma GMO. In wenigen Tagen wird die Akte bei Insolvenzverwalter Müller in das Regal mit den abgeschlossenen Fällen eingereiht.