Jutta Sandau im Fernsehen: ARD PlusMinus

15.07.2003 um 21:55 in der ARD-Sendung PlusMinus

Die Sendung im Internet. http://www.daserste.de/plusminus/beitrag.asp?iid=71

Nächste Sendung: WDR|15.07.2003|21:55

Plattmacher ohne Skrupel

Finanziell angeschlagene Firmen, mittlerweile aber auch gesunde Unternehmen, werden immer häufiger von „Firmenbestattern“ ausgeplündert.

Autoren: Clemens Schmidt, H–C Schultze

Von Juni bis Oktober vergangenen Jahres fand in Neuruppin, nördlich von Berlin, der längste Bauarbeiterstreik Deutschlands statt. Die bestreikte Firma, die Ruppiner Straßen- und Tiefbau GmbH, war wirtschaftlich erfolgreich. Hier versuchten die Arbeiter mit Hilfe der Baugewerkschaft ihre Löhne per Tarifvertrag festschreiben zu lassen – ohne Erfolg.

Neuruppin acht Monate später. Die angesehene Baufirma gibt es nicht mehr. 47 Arbeiter verloren über Nacht ihren Job. Von einem Tag auf den anderen fanden sie die Baustellen und den Betriebshof leer vor, von den Maschinen keine Spur, berichtet der Maurer Helmut Ziervogel. Der Streik, so bestätigt der Potsdamer Insolvenzverwalter, Christian Graf Brockdorff, hat die Pleite des florierenden Unternehmens jedenfalls nicht verursacht. Die Ruppiner Strassen- und Tiefbau GmbH hatte zum Ende vergangenen Jahres laut Insolvenzverwalter eine gute Bilanz vorgelegt.

Der damalige Eigentümer Hans–Joachim Feuerhak will nicht vor die Kamera. Mit der Pleite, so sagt er, habe er nichts zu tun. Er habe aus Ärger über den Streik seiner gut versorgten Arbeitnehmer die Firma loswerden wollen und sie Ende vergangenen Jahres dann auch für 375.000 Euro an einen Neuruppiner Immobilienmakler verkauft. Der hatte die Firma schon vorher einem anderen Interessenten vertraglich zugesichert. Ebenfalls für 375.000 Euro. Für den neuen Eigentümer Rainhard Voigt offenbar ein gutes Geschäft. Allein die Barmittel der Firma betrugen diese 375 000 Euro.

Rainhard Voigt war keine drei Monate Geschäftsführer, da passierte das, was der überlebensfähigen Firma den Todesstoss versetzte: In der Nacht vom 8. auf den 9. März dieses Jahres verschwanden fast sämtliche Maschinen und Baufahrzeuge, abtransportiert von einer internationalen Spedition. Die Baustellen waren leer geräumt. Insgesamt knapp 60 Baumaschinen und LKW waren weg. Die mit guten Aufträgen ausgestattete Firma war von einem Tag auf den anderen nicht mehr handlungsfähig. Auch der Firmenhof war geplündert. Die Arbeiter, die Krankenkassen und andere Gläubiger wurden mit ihren Forderungen sitzen gelassen. Denn zur selben Zeit verschwand Rainhard Voigt, der jetzt von der Polizei gesucht wird.

Warum flieht jemand wie Rainhard Voigt und macht sich damit verdächtig? Wir suchten die Antwort in Netzeband, einem kleinen Örtchen, 17 Kilometer von Neuruppin entfernt. Hier ist Rainhard Voigt polizeilich gemeldet. Doch hier ist er nur wenigen Bürgern bekannt. Schließlich, etwas außerhalb von Netzeband, fanden wir den Wohnort von Rainhard Voigt. Zu unserer Überraschung hatte der Geschäftsführer eines der angesehensten Baubetriebe der Gegend vormals in einem kleinen Waldrestaurant gearbeitet, so die heutigen Beschäftigten. In einer Nacht– und Nebelaktion soll er mit seiner Frau verschwunden sein.

Der Handelsregisterauszug der Baufirma legt den Verdacht nahe, dass Rainhard Voigt nur ein kleines Rädchen im Getriebe war. Denn vor seinem Verschwinden wurde eine Jutta Sandau neue Geschäftsführerin. Weitere Handelsregisterauszüge legen den Verdacht nahe, dass hier bundesweit mit System gearbeitet wird. Jutta Sandau ist Geschäftsführerin von rund 40 Firmen. Sechs Staatsanwaltschaften ermitteln bereits gegen sie. Aber die Staatsanwaltschaften vermuten hier ein Netzwerk mit weiteren Hintermännern.

Ortswechsel. In Wassenberg bei Aachen vermutete die Kölner Staatsanwaltschaft ein weiteres Netzwerk. Dort startete eine spektakuläre Durchsuchungsaktion. Der Aktenberg, der dabei beschlagnahmt wurde, füllte im Parkhaus des Landeskriminalamts 27 PKW–Parkplätze.

In dreijährigen Recherchen will die Kölner Staatsanwaltschaft herausgefunden haben, dass die ins Visier genommene Organisation über 300 Unternehmen zum Opfer gefallen sind. Der Hauptbeschuldigte bestreitet jedoch bis heute jede Verantwortung. Dazu die Sprecherin der Kölner Staatsanwaltschaft, Regine Appenrodt: „Diese Gruppe ist hierarchisch strukturiert. Deshalb ist das Verfahren auch im Bereich der organisierten Kriminalität angesiedelt. Die Tätergruppe besteht aus einem Haupttäter, einer mittleren Ebene von fünf Untergeschäftsführern und dann den Personen, die mehr oder weniger als Strohmänner die Firmen als Geschäftsführer übernommen haben, um sie schließlich stillzulegen.“

In Neuruppin dagegen tappen die Ermittler noch im Dunkeln. Fest steht, dass Hunderte von Firmen ähnlich wie in Neuruppin durch perfekt organisierte „Firmenbestatter“ ruiniert wurden. Leidtragende sind Tausende von Arbeitnehmern wie der Maurer Helmut Ziervogel, die ihre „neuen“ Chefs oft nie zu Gesicht bekamen.

WDR [plusminus Appellhofplatz 1 50667 Köln E-Mail: plusminus@wdr.de

Dieser Text gibt den Fernseh-Beitrag vom 15.07.2003 wieder. Eventuelle spätere Veränderungen des Sachverhaltes sind nicht berücksichtigt.